Donnerstag, Mai 26, 2011

Camera Obscura

Sitzt man im Sommer unter einem schattigen Baum, kann man unter bestimmten Be­dingungen auf dem Boden Licht­flecken er­kennen. Diese haben nicht etwa die Form der Zwischen­räume der Blätter, sondern die der Sonne. Daher nennt man sie Sonnen­taler.
Tatsächlich ist während einer partiellen Sonnen­finsternis zu be­obachten, dass diese Sonnen­taler sichel­förmig werden, also die teil­weise ver­deckte Sonnens­cheibe ab­bilden. Dieses Phänomen hatte bereits Aristoteles be­schrieben. In dem apokryphen Werk Problemata Physica (streng genommen Pseudo-Aristoteles) findet man folgende Be­schreibung:
Warum wird jemand, der durch ein Sieb, das Laub­werk einer Platane (…) oder durch die ver­schränkten Finger zur Zeit einer Sonnen­finsternis zur Sonne blickt, den Sonnen­glanz in der Form des nicht voll­ständigen Mondes wahr­nehmen? Des­wegen, weil das durch ein eckiges Loch durchfallende Licht nicht eckig ist, sondern das Licht geht rund­ge­formt und um­ge­kehrt aus der Öffnung hervor. Weil es sich um einen geraden Doppel­kegel handelt, den das Licht von der Sonne zum Loch und wieder vom Loch zur Erde bildet, so wird auch bei un­voll­ständiger Form der Sonne das Licht wieder die Figur abbilden, die die Sonne zeigt. Da nun der Sonnen­kreis nicht voll­ständig ist, werden auch die Strahlen ent­sprechend hervor­kommen. Bei kleinen Löchern ist die Erscheinung deutlicher als bei größeren.
Dass es sich hierbei um ein Phänomen handelt, mit dem sich mithilfe der Camera Obscura experimentieren lässt, bemerkte Ibn Al Haitham (latinisiert: Alhazen) im 11. Jahrhundert:
Das Bild der Sonne zur Zeit der Verfinsterung, falls sie nicht eine totale ist, zeigt, wenn ihr Licht aus einem engen runden Loche aus­tritt und zu einer dem Loch gegen­über­liegenden Ebene gelangt, die Gestalt der Mondsichel (…). Das Bild der Sonne zeigt diese Form nur dann, wenn das Loch sehr eng ist. Wird das Loch größer, so ändert sich das Bild, und die Ver­änderung wächst mit der zunehmenden Weite. Ist das Loch sehr weit, so ver­schwindet das sichel­förmige Bild, und das Bild auf der Wand wird rund, falls das Loch rund ist, (…) und bei einer beliebigen Gestalt der Öffnung nimmt es die Gestalt desselben an, falls die Wand parallel zu derselben steht.
Tatsächlich lässt sich auf diese Weise ein Bild auf die gegen­überliegende Seite des Loches der Loch­kamera projizieren. Ein wie von Zauberhand erzeugtes Bild der Welt erschienen noch den Zeitgenossen Roger Bacons als Hexerei. Daher musste er Jahre lang im Gefängnis sitzen, nur seine Be­ziehungen zu einfluss­reichen Persönlich­keiten und möglicher­weise sein Priester­amt retteten ihn vor Schlimmerem. Die Camera obscura erwähnt er in seinem Buche über die Perspektive von 1267.
Johann Kepler nannte sie in seinem Werk Astronomische Optik von 1604 "Camera clausa", ge­schlossene Kammer.
Illustration aus Rainer Gemma Frisius, 1545
Da die Kammer verschlossen ist, und kein Strahl weder der Sonne, noch des ganzen Himmels oder viel­mehr der weißlich schimmernden Luft die einzelnen Punkte an der Wand mit erhellt, sondern nur jedes Teilchen ent­sprechend dem ihm gegen­über­liegenden Punkt, so wird das Auge die einzelnen Lichter unterscheiden, weil sie von keinem stärkeren beleuchtet werden, zumal wir die übrigen Wände schwarz gemacht haben, damit sie nicht von der zuerst bestrahlten weißen Wand beleuchtet und, wenn sie selbst weiß wären, erhellt würden und ihrer­seits wieder die Bilder­wand beleuchten und auf diese Weise die von außen kommenden Farben verwirren. (…)
Wenn das Loch zu winzig ist, so würden wohl die Dinge bis ins einzelne genau erscheinen, aber die Augen, die an das Sehen im hellen Tageslicht gewöhnt sind, würden sehr lange brauchen, bis sie das fein aus­ge­führte Bild in dieser schwachen Be­leuchtung erkennen. Machte man anderer­seits das Loch zu groß, so wird das Bild zwar heller und glänzender, aber auch um so roher und verschwommener ausfallen. Deshalb muss das Loch eine bestimmte Größe haben (…). Es ist ferner nützlich, eine Art Schutz gleichsam als Stirn­blende außen an dem Loche an­zu­bringen, damit nicht der Himmel oder die Luft mit allzugroßer Hellig­keit bestrahle und auf diese Weise das Schwache neben dem Starken verschwinde oder die Luft innen allzu sehr leuchte und dadurch die Farben an der Wand verdünne.
Diese Camera Obscura diente vor allem im 18. Jahrhundert vielen Künstlern als Zeichen­hilfe. Vor allem Jan Vermeer wird deren Ver­wendung zugesagt. Der Künstler David Hockney möchte das Prinzip sogar bei zahlreichen früheren Künstlern nach­ge­wiesen haben. Sicher ist, es bestand der Wunsch, das Bild der Camera Obscura festzuhalten. Dazu musste sich nicht nur die Optik, sondern auch die Chemie weiterentwickeln.
Dass Silbernitrat durch Licht verändert wird, wurde bereits 1614 von Angelo Sala erwähnt. Thomas Wedgewood erhielt mit der Camera Obscura jedoch keine Ergebnisse, weil die Licht­aus­beute viel zu gering war, um das Silber­nitrat ausreichend zu verändern. Er machte jedoch deutlich, dass das Bild bei weiterer Licht­aussetzung vollständig schwarz wird. Dies wurde schließlich von Niépce, Fox Talbot und Daguerre gelöst und die Fotografie, wie wir sie heute kennen, erfunden. Deren optische Grundprinzip ist das der Camera Obscura, das bereits seit der Antike bekannt war.

Montag, Mai 16, 2011

Albrecht Dürers Bildverfahren

Seit Euklid gilt die Erkenntnis, dass sich Lichtstrahlen linear ausbreiten. Mit den Entdeckungen Brunelleschis und Albertis Traktat Della Pitura ist die Licht- und Sehtheorie auf eine Bildtheorie übertragen worden: Ein Bild ist der Schnitt durch die Sehpyramide.
Die bei Alberti nur theoretisch beschriebene Anwendung zur Bildproduktion diskutiert Albrecht Dürer schließlich in seinem Lehrbuch Unterweisung der Messung (1525). Darin finden sich zwei Illustrationen: Die eine stellt das vereinfachte Portraitieren mithilfe einer Glasplatte dar. Die andere wird meist als Vermessung der Laute bezeichnet.
Albrecht Dürer: Der Zeichner der Laute, 1525
Diese bekannte Darstellung zeigt ein vergleichsweise kompliziertes Verfahren, eine perspektivische Projektion eines dreidimensionalen Objekts zu erzeugen. Dazu wird eine Schnur an einer Öse befestigt (rot) und mit einem Gewicht beschwert, um sie gestreckt zu halten. Sie repräsentiert den Licht- oder Sehstrahl (orange). Das andere Ende wird auf einen Punkt am Objekt gehalten. Mithilfe zweier Fäden, die horizontal und vertikal an einem Rahmen gespannt sind, wird der Punkt markiert, an dem die Schnur durch den Rahmen stößt. Nun wird eine Fläche vor den Rahmen geklappt (blau) und der Kreuzungspunkt der Fäden darauf markiert. Dann wird die Fläche wieder aufgeklappt und ein weiterer Punkt markiert etc. Auf diese Weise erhält man eine Punktstruktur, die man mit Linien verbinden und z. B. als Unterzeichnung eines Gemäldes verwenden kann.
Bemerkenswert ist, dass es sich hierbei im Prinzip um dasselbe Verfahren handelt wie beim heutigen Computer-Generated Imagery (CGI) eingesetzten Raytracing. Hierbei wird in Abhängigkeit eines festgelegten Augenpunktes die Farbe für jeden Pixel der Bildebene (=Bildschirm) berechnet. Es handelt sich um ein auf der Aussendung von Strahlen basierender Algorithmus zur Verdeckungsberechnung. Ein Objekt, dass sich aus der Betrachterperspektive aus hinter einem anderen Objekt befindet, erscheint auf diesem Schnitt der Sehpyramide nicht. Dies wird nirgends deutlicher als bei Dürer. Und genau dies hatte bereits auch Euklid beschrieben.
Die heutige Computergraphik, wie sie beispielsweise in jedem Egoshooter zu finden ist, basiert auf den Entwicklung der Zentralperspektive der Renaissance.

Mittwoch, April 13, 2011

blinkenblog: Warum sich jeder Kunsthistoriker für Medientechnik...

blinkenblog: Warum sich jeder Kunsthistoriker für Medientechnik interessieren sollte: Eine Forschungsgruppe aus Grenoble hat eine iPhone-App vorgestellt, die das Bild in Abhängigkeit vom Blick darstellt und so ein dreidimensionalen Eindruck erzeugt. Der Weblog blinkenblog stellt dies in einen Kontext mit der Erfindung der Zentralperspektive in der Renaissance.

Freitag, März 25, 2011

Apple Design

Apple schreibt immer neue Rekordumsätze. Seit 1997, als das Unternehmen kurz vor dem Konkurs stand, hat es sich zu einem Miiliarden-Geschäft entwickelt, das den Marktwert von Microsoft übersteigt.
Teil dieses Erfolges ist seit der Rückkehr von Steve Jobs die Neupositionierung des Unternehmens hin zu einem Lifestyle-Dienstleister für den Privatkunden. Wichtiger Bestandteil dieser Wende ist das Industrial Design (verantwortlich dafür ist der Brite Jonathan Ive). Nun widmen sich in diesem Jahr gleich zwei deutsche Museen dem Design von Apple-Produkten.
Weniger kritisch beschäftigt sich das Museum für Angewandte Kunst in Frankfurt mit dem Thema. Unter dem Titel Der i-Kosmos. Macht, Mythos und Magie einer Marke zeigt es seit dem 11. März 2011 die bekannten Geräte und ist offenbar eine kleiner Ausstellung für Fanboys.
Ab dem 26. August 2011 wird das Museum für Kunst und Gewerbe in Hamburg dagegen in einer umfangreichen Ausstellung einen analytischen Blick auf Das Design von Jonathan Ive werfen und dessen visuelles Erscheinungsbild mit einem Ausstellungskatalog kritisch betrachten.
Siehe auch: Apple-Design/Braun-Design: Produktentwicklung als Liberal Art

Mittwoch, März 09, 2011

Amerikanische Historienmalerei

Als Thomas Jefferson 1776 die amerikanische Unabhängigkeitserklärung entwarf, legte er damit den Grundstein für die politische Souveränität der späteren USA. Kulturell musste sie sich jedoch noch jahrzehntelang gegen die Dominanz Europas behaupten, bevor eine eigenständige amerikanische Kunst entstehen konnte.
Harald Klinke zeigt, wie unter der Führung der Maler John Trumbull und Samuel Morse, dem späteren Erfinder des Telegrafen, eine Generation von Künstlern die europäische Kunsttheorie sowie die mit ihr verbundene Historienmalerei in den USA zu etablieren versuchte. Das Scheitern dieses Projekts leitete einen Umdenkprozess ein, der zu einer zunehmenden Loslösung von Europa führte, der die amerikanische Identität betonte und die Basis für die Moderne legte.
Lange vor der Französischen Revolution wurde in den USA erstmalig die Frage nach der Rolle der Kunst in einer demokratischen, pluralistischen und mittelstandsgetragenen Republik gestellt. Die hier ablesbare Ideengeschichte verdeutlicht, wie ein gesellschaftlicher Umbruch auch einen grundlegenden Wandel des Blicks und des Bildes zur Folge hat.

Amerikanische Historienmalerei, Neue Bilder für die Neue Welt. Graphentis Verlag, Göttingen 2011 ISBN 978-3-942819-00-8

Freitag, April 25, 2008

Iran mon amour

In Teheran ging jetzt eine Ausstellung zu Ende, die nicht dem Klischee iranischen Isolationismus entspricht. Die deutsch-iranische Künstlerin Myriam Schahabian zeigte vielmehr den Versuch von Internationalismus. Harald Klinke berichtet, ob dieses Experiment erfolgreich war.

Myriam SchahabianAls die Künstlerin zusammen mit der Galeristin Rozita Sharafjahan die Werke für die Ausstellung installierte, betrat ein ernst blickender Mann den Raum, ließ wortlos seinen Blick schweifen, ermahnte die Frauen, ihr Kopftuch tiefer in die Stirn zu ziehen und verschwand wieder. Dies war ein Sittenwächter, der im Falle von unverhüllt dargestellter Haut schnell zur Zensur und zum Ausschluss von Werken von der Ausstellung hätte zwingen können. Nichts von dem aber zeigt Schahabian. Vielmehr zeigt sie etwas, was den staatlichen Stellen viel gefährlicher erscheinen müsste – den Blick einer Exilantin auf das eigene Land.

Schahabian verließ im Alter von 16 Jahren mit ihren Eltern das Land. Zu groß waren die Repressalien geworden unter denen die Familie zu leiden hatte, zu sehr hatte die islamische Revolution in den privaten Alltag eingegriffen. Der Kopftuchzwang ist nur ein äußeres Anzeichen der Enge, die den Intellektuellen des Landes den Raum zum Austausch und Ausdruck nahm.
Doch auch in Deutschland, mit all seinen Freiheiten, fühlte sie sich nicht wohl. Denn Deutschland ist weit weg von den kulturellen Wurzeln, dem Kontext, in dem ihre Arbeit Bedeutung hat. Zum ersten Mal betrat sie daher einen „Zwischenraum“ und studierte Kunst in Italien.

„Zwischenräume“, so sagt sie, sind die Orte, an denen sich heute Millionen aufhalten. Menschen, die ihre Heimat aufgeben mussten. Eine Heimat, die sie aber immer noch im Herzen tragen. Menschen, die in den westlichen Ländern Zuflucht gefunden haben, wo sie nun seit Jahren leben.
Schahabian, inzwischen verheiratet und Mutter zweier Kindern, zog es daher wieder in den Iran zurück. Die Einladung der Galerie Azad ermöglichte ihr, über vier Wochen in Teheran auszustellen. Ihr Blick als exilierte Iranerin auf ihre Heimat ist wohlwollen, aber auch nachdenklich. Am deutlichsten wird dies im Werk Real Time Spaces.

Wie leuchtende Marmorschnitte mit urzeitlichen Einschlüssen wirken die fast monumental wirkenden Platten von Satellitenbildern. Tritt man näher heran, werden Landschaften, Straßen und Siedlungen sichtbar, dann Flugzeuge, Hütten und Trampelpfade. Man überquert mit den Augen große Distanzen der Wüste und sucht zwischen der Natur die Spuren der Menschen. Doch die Menschen findet man nicht.

Plötzlich wird einem deutlich, dass man sich in die Rolle eines Voyeurs begeben hat, mit dem erhabenen Gefühl, zu sehen, aber nicht gesehen zu werden. Der überhebliche Blick von oben verspricht Evidenz. Sind die Linien Landebahnen? Wird in den Gebäuden Massenvernichtungsmittel hergestellt? Mit dem Finger auf der Landkarte kann man den Eindruck überlegenen Wissens und Macht verspüren.

Doch die Neugier wird nicht wirklich befriedigt. Was sieht man wirklich? Was wirklich wichtig ist, bleibt hinter der visuellen Information verborgen. Die Sorgen und Nöte, Hoffungen und Träume der Menschen sind so nicht zu finden. Und so tritt man wieder zurück, so weit, bis die Flächen und Linien wieder abstrakt, ornamental und dekorativ werden und nichts mehr etwas bedeutet.

Myriam SchahabianDie Installation bietet daher einen zweiten Blick an. Eine Videoprojektion hinter den Bildern des Satelliten bringt den Blick zurück auf den Boden, auf Augenhöhe mit den Menschen. Ein Moped verschwindet hupend im Dunkeln und nimmt uns mit ins Innere der Wüstenstadt Yazd. Schahabian scheint uns hier mitzunehmen auf ihre eigene Reise. Doch die Höfe des sonst so lebendigen Basars sind seltsam leer. Wo sind die Teppiche, die feilschenden Händler, das geschäftige Treiben? Eine Enttäuschung der Heimkehrerin?

Wieder knattert ein Moped vorbei. Woher kommt es? Wohin will es? In alle Richtungen eröffnen sich labyrinthartig Wege. Wohin? Da steht man nun an einem Ort, von dem man meinte, es sei die Heimat, und ist an einem Punkt angekommen, an dem man sich fragen muss, wohin man will, wohin man gehört. Da hebt sich der Blick wie von selbst nach oben. Hell scheint das Licht durch eine Öffnung im Gewölbe. Eindringlich verdeutlicht Myriam Schahabian in dieser Installation die Identität der globalen Generation, die überall zuhause ist und nirgends.

Die in Karlsruhe lebende Schahabian verleugnet ihre kulturelle Identität nicht, stellt aber die Frage nach der Zugehörigkeit im Global Village. Daher nutzt sie Materialien und eine Bildsprache, die weltweit verstanden wird. Sie thematisiert mit dem Dilemma, vor dem viele stehen, ein hochaktuelles Thema, das nicht nur den Iran betrifft: Tibet ist ein aktuelles Beispiel von vielen anderen, die unter der Oberfläche Deutschlands verborgen sind. Zahlreiche Iraker, Afghanen, ganz zu schweigen von aus afrikanischen Krisengebieten Geflohenen leben unter uns in „Spaces in Between“.

Mahmoud DowlatabadiSchahabians Werk spricht von der Sehnsucht nach einem Land der Träume, von immer wieder aufflammender Hoffnung auf Veränderung in der Heimat und der Ratlosigkeit vor Rückschlägen. So haben unabhängige Intellektuelle zum großen Teil bereits im ersten Exodus nach der Revolution das Land verlassen. Die Bevölkerungsexplosion der letzten Jahre hat eine von der Religion infiltrierte Generation hervorgebracht. So hat die Regierung nun das Volk, das es will.

Es ist daher vielleicht kein Wunder, dass die Vernissage der durch das Auswärtige Amt unterstützten Ausstellung zum Treffpunkt der verbliebenen Intellektuellen Teherans wurde. Neben dem deutschen Botschafter kamen eine große Anzahl an Kulturschaffenden, Architekten und Schriftstellern, die sich von Schahabians Werken tief bewegt zeigten. Die Aktualität ihrer Installationen, die Fragen nach Auswanderung und Veränderung aufwerfen, spricht vielen aus dem Herzen. Schahabian gelingt es aber nicht nur, das Schicksal ihrer Landsleute zu reflektieren, sondern es auf eine universelle Ebene zu heben und Aussagen über Heimatlose überall in der Welt zu machen. Schahabians Kunst ist daher von allgemeiner Bedeutung. Der finstere Sittenwächter wird dies wohl nicht verstanden haben.

Die Ausstellung lief vom 1. März bis 15. April in der Galerie Tarrahane Azad in Teheran. Ein Katalog ist verfügbar.

Dr. Harald Klinke, April 2008

Mittwoch, März 12, 2008

Joburg Art Fair (13.-16. März)


Vom 13. bis 16. März findet in Südafrika die Joburg Art Fair statt. Dabei handelt es sich um die erste große Messe afrikanischer Kunst. Organisiert wird sie vom kamerunischen Kurator Simon Njami (geb. 1962), der bereits mit der Ausstellung „Afrika Remix“ im Jahr 2004 und mit dem Afrika-Pavillon der Biennale 2007 auf den Kontinent aufmerksam gemacht hatte.

Natürlich sind die üblichen Verdächtigen von William Kentridge bis Romuald Hazoumé vertreten. Aber auch einige weitere interessante Künstler sind zu finden. Als einziger deutscher Aussteller nimmt die Galerie Herrmann aus Berlin teil. Der Galerist scheint hier der einzig zu sein, der die zeitgenössische Kunst Afrikas jenseits der traditionellen Klischees ernst nimmt. Sie benötigt mehr internationale Beachtung. Werksübersichten wie die Joburg Art Fair könnte dazu beitragen, die interessanten Auseinandersetzung zwischen Tradition und Globalisierung in das Zentrum der Aufmerksamkeit zu bringen.

Video über die Ausstellung (ZDF)
Fotos der Ausstellung

Montag, Februar 18, 2008

Cranach-Ausstellung in Frankfurt zu Ende gegangen

Am vergangenen Sonntag ist die Ausstellung über Lucas Cranach im Frankfurter Städel-Museum zu Ende gegangen. 210 000 Besucher sollen die rund 100 Gemälde gesehen haben, das sind 2700 Menschen täglich. Vermutlich alleine 6000 am letzten Tag. Um dem Andrang gerecht zu werden, war am letzten Wochenende bis Mitternacht geöffnet.
Ab 8. März werden die Bilder in der Royal Academy in London zu sehen sein. Das Verbot der Werbeplakate mit der nackten Venus in der U-Bahn ist offenbar wieder zurückgenommen.

Montag, Februar 11, 2008

Größter Kunstraub in der europäischen Geschichte

Der Sammlung E. G. Bührle in Zürich wurden gestern per Raubüberfall mehrere Gemälde entwendet. Der Wert der vier Objekte wird auf nicht weniger als 113 Millionen Euro taxiert. Es handelt sich um folgende Gemälde:

Graf Ludovic Lepic und seine Töchter von Edgar Degas. Öl auf Leinwand. 65.5 x 81 cm, entstanden um 1871. Auf der hell grundierten Leinwand zeichnet Degas mit hellem, flüchtigem Pinselstrich, den er überall stehen lässt. Auf dieser Pinselvorzeichnung liegen nur dünne durchscheinende Lasuren, so dass ein fast aquarellartiger Effekt entsteht. Damit die weißen Sonntagskleidchen der kleinen Besucher in ihrer schaumigen Helle zur Wirkung kommen, werden die Kinder schnell vor die türkisfarbenen Läden auf die Fensterbrüstung gesetzt, indem sie den Vater einrahmen.
Graf Lepic ist nicht der Auftraggeber, sondern der Freund und Bildhauer, der mit den Impressionisten ausstellte. Es ist kein Bild, das auf vielfältigen Studien aufgebaut ist, vielmehr ein Bild, das die ganze Frische eines ersten Eindrucks bewahrt, das selbst Studie ist.

Blühende Kastanienzweige von Vincent van Gogh. Öl auf Leinwand, 72.5 x 91 cm, entstanden 1890 in Auvers-sur-Oise. Die Provence hatte van Goghs Hoffnungen nicht erfüllt, sondern Enttäuschungen und Krankheit gebracht. Seit Februar 1890 bewegen den Maler in Saint-Rémy Pläne, nach dem heimatlicheren Norden zurückzukehren, wohl ahnend, dass es seine letzte Station sein wird. Der stets hilfsbereite Bruder Theo empfiehlt ihn an Dr. Paul Gachet, den Arzt und Freund der Maler in Auvers-sur-Oise. Nach einem kurzen Aufenthalt in Paris traf er dort am 21. Mai ein.
Die Kastanienbäume an der Straße stehen gerade in Blüte. Er malt die alten Bäume mit ihren prangenden Blütenkerzen, und er bricht die Zweige, um sie in einer nur angedeuteten Vase zusammen mit Rhododendron zu malen. Das Erlebnis japanischer Kunst ist auch in diesem Bilde spürbar, zumal der Künstler, alles Gegenständliche vermeidend, die Blütenzweige auf einen blaugrünen, vibrierend strukturierten Grund setzt.

Mohnfeld bei Vetheuil von Claude Monet. Öl auf Leinwand. 71.5 x 90.5 cm, entstanden um 1880. Das Gemälde umfasst die eigentliche Geburt des Impressionismus, dem Monet mit seinem Bildtitel „Impression, soleil levant“ auf der ersten Ausstellung der Gruppe 1874 unfreiwillig den Namen gegeben hatte, es hatte zu einer einzigartigen Zusammenarbeit der Künstler im Sommer desselben Jahres in Argenteuil geführt, die den endgültigen Durchbruch der Freilichtmalerei brachte, und führte die Künstler doch immer tiefer in unerträgliche Not.
Dies war nicht zu letzt der Grund, weshalb sich Monet noch mehr von Paris absetzte und sich im Januar 1878 in dem kleinen Vétheuil am rechten Ufer der Seine ansiedelte, um dort bis Ende 1881 zu bleiben. Monet malt das nicht mehr in dem von Manet beeinflussten Stil ruhig lagernder Farbflächen, sondern in einem dichten Gewebe von Farbflecken eines feinen Pinsels, der, das Gegenständliche dem Ganzen einschmelzend, das Atmosphärische zum eigentlichen Bildthema macht.

Der Knabe mit der roten Weste von Paul Cézanne, Öl auf Leinwand. 80 x 64.5 cm, entstanden 1894/95. Das Gemälde huldigt ganz der Farbe. Schon das Kostüm des jungen italienischen Berufsmodells, das Cézanne Anfang der neunziger Jahre viermal gemalt und ein weiteres Mal aquarelliert hatte, mit seiner folkloristischen Kleidung, der roten Weste, dem blauen Halstuch und dem blauen Gürtel fordert dazu heraus. Die von links unten nach rechts oben verlaufenden Diagonalen des geneigten Oberkörpers werden durch die entgegengesetzt verlaufenden Diagonalen der Oberschenkel mit dem darauf liegenden rechten Unterarm und dem stützenden linken Unterarm aufgefangen. So ist die dichte Farbigkeit des ersten Eindrucks in ein straff geregeltes Strukturgefüge sich kreuzender Diagonalen eingebettet, die in der Bildebene verlaufen. Der Kritiker Gustave Geffroy sagte schon 1895 von diesem Bild, es halte den Vergleich mit den schönsten Figurenbildern der Malerei aus.

Dienstag, Januar 22, 2008

Neues Buch von Hans Belting

Florenz und Bagdad. Eine westöstliche Geschichte des Blicks
Hans Belting BagdadWie und was wir sehen, ist in hohem Grade von der Kultur geprägt, in der wir leben. Eine Geschichte des Bildes ist daher unvollständig ohne eine Kulturgeschichte des Blicks. Hans Belting vergleicht in seinem neuen Buch den Blick der westlichen Welt, der im Florenz der Renaissance geboren wurde und völlig neuartige Bilder hervorbrachte, mit dem der islamischen Welt. Innerhalb dieser spielte Bagdad als kulturelles Zentrum auch für die Kunst des Westens eine entscheidende, bisher jedoch kaum bekannte Rolle.
Der perspektivische Blick war eine der aufsehenerregendsten Entdeckungen der Renaissance und bewirkte den größten Einschnitt in der Geschichte der westlichen Kunst. Das perspektivische Bild ist heute allgegenwärtig und wird in die ganze Welt exportiert. Seine Dominanz läßt jedoch vergessen, daß es keineswegs unser natürliches Sehen abbildet. Die islamische Welt kennt einen gänzlich anderen Blick, den ihre Kunst widerspiegelt: einen überpersönlichen Blick, der nicht an einen bestimmten Standpunkt in der Welt gebunden ist.
Belting beleuchtet hier auch das Bilderverbot des Islam, denn es tabuisiert schon das bloße Ansehen von Bildern. Aus diesen Voraussetzungen erschließt er die Kunst des Islam, ihre Buchmalerei, ihre Ornamentik und die Rolle der Kalligraphie, auf überraschende und fesselnde Weise neu. Die Erfindung der Perspektive im Westen verdankt sich allerdings einer Entdeckung, die man in der arabischen Welt schon Jahrhunderte vor der Renaissance gemacht hatte: Inmitten einer bilderlosen Kultur entwickelte der Mathematiker Alhazen eine optische Theorie, die die Voraussetzungen für die westliche Perspektivmalerei schuf.
Wieso die islamische Kunst aus dieser Entdeckung andere Konsequenzen zog als der Westen, erklärt Belting aus ihren religiösen, kulturellen und wissenschaftlichen Kontexten. Sein Buch bietet einen souveränen Vergleich zwischen der arabischen und der westlichen Kultur, der uns auch die Augen neu öffnet für die Bilder, von denen wir seit Beginn der Neuzeit umgeben sind.