Donnerstag, Mai 26, 2011

Camera Obscura

Sitzt man im Sommer unter einem schattigen Baum, kann man unter bestimmten Be­dingungen auf dem Boden Licht­flecken er­kennen. Diese haben nicht etwa die Form der Zwischen­räume der Blätter, sondern die der Sonne. Daher nennt man sie Sonnen­taler.
Tatsächlich ist während einer partiellen Sonnen­finsternis zu be­obachten, dass diese Sonnen­taler sichel­förmig werden, also die teil­weise ver­deckte Sonnens­cheibe ab­bilden. Dieses Phänomen hatte bereits Aristoteles be­schrieben. In dem apokryphen Werk Problemata Physica (streng genommen Pseudo-Aristoteles) findet man folgende Be­schreibung:
Warum wird jemand, der durch ein Sieb, das Laub­werk einer Platane (…) oder durch die ver­schränkten Finger zur Zeit einer Sonnen­finsternis zur Sonne blickt, den Sonnen­glanz in der Form des nicht voll­ständigen Mondes wahr­nehmen? Des­wegen, weil das durch ein eckiges Loch durchfallende Licht nicht eckig ist, sondern das Licht geht rund­ge­formt und um­ge­kehrt aus der Öffnung hervor. Weil es sich um einen geraden Doppel­kegel handelt, den das Licht von der Sonne zum Loch und wieder vom Loch zur Erde bildet, so wird auch bei un­voll­ständiger Form der Sonne das Licht wieder die Figur abbilden, die die Sonne zeigt. Da nun der Sonnen­kreis nicht voll­ständig ist, werden auch die Strahlen ent­sprechend hervor­kommen. Bei kleinen Löchern ist die Erscheinung deutlicher als bei größeren.
Dass es sich hierbei um ein Phänomen handelt, mit dem sich mithilfe der Camera Obscura experimentieren lässt, bemerkte Ibn Al Haitham (latinisiert: Alhazen) im 11. Jahrhundert:
Das Bild der Sonne zur Zeit der Verfinsterung, falls sie nicht eine totale ist, zeigt, wenn ihr Licht aus einem engen runden Loche aus­tritt und zu einer dem Loch gegen­über­liegenden Ebene gelangt, die Gestalt der Mondsichel (…). Das Bild der Sonne zeigt diese Form nur dann, wenn das Loch sehr eng ist. Wird das Loch größer, so ändert sich das Bild, und die Ver­änderung wächst mit der zunehmenden Weite. Ist das Loch sehr weit, so ver­schwindet das sichel­förmige Bild, und das Bild auf der Wand wird rund, falls das Loch rund ist, (…) und bei einer beliebigen Gestalt der Öffnung nimmt es die Gestalt desselben an, falls die Wand parallel zu derselben steht.
Tatsächlich lässt sich auf diese Weise ein Bild auf die gegen­überliegende Seite des Loches der Loch­kamera projizieren. Ein wie von Zauberhand erzeugtes Bild der Welt erschienen noch den Zeitgenossen Roger Bacons als Hexerei. Daher musste er Jahre lang im Gefängnis sitzen, nur seine Be­ziehungen zu einfluss­reichen Persönlich­keiten und möglicher­weise sein Priester­amt retteten ihn vor Schlimmerem. Die Camera obscura erwähnt er in seinem Buche über die Perspektive von 1267.
Johann Kepler nannte sie in seinem Werk Astronomische Optik von 1604 "Camera clausa", ge­schlossene Kammer.
Illustration aus Rainer Gemma Frisius, 1545
Da die Kammer verschlossen ist, und kein Strahl weder der Sonne, noch des ganzen Himmels oder viel­mehr der weißlich schimmernden Luft die einzelnen Punkte an der Wand mit erhellt, sondern nur jedes Teilchen ent­sprechend dem ihm gegen­über­liegenden Punkt, so wird das Auge die einzelnen Lichter unterscheiden, weil sie von keinem stärkeren beleuchtet werden, zumal wir die übrigen Wände schwarz gemacht haben, damit sie nicht von der zuerst bestrahlten weißen Wand beleuchtet und, wenn sie selbst weiß wären, erhellt würden und ihrer­seits wieder die Bilder­wand beleuchten und auf diese Weise die von außen kommenden Farben verwirren. (…)
Wenn das Loch zu winzig ist, so würden wohl die Dinge bis ins einzelne genau erscheinen, aber die Augen, die an das Sehen im hellen Tageslicht gewöhnt sind, würden sehr lange brauchen, bis sie das fein aus­ge­führte Bild in dieser schwachen Be­leuchtung erkennen. Machte man anderer­seits das Loch zu groß, so wird das Bild zwar heller und glänzender, aber auch um so roher und verschwommener ausfallen. Deshalb muss das Loch eine bestimmte Größe haben (…). Es ist ferner nützlich, eine Art Schutz gleichsam als Stirn­blende außen an dem Loche an­zu­bringen, damit nicht der Himmel oder die Luft mit allzugroßer Hellig­keit bestrahle und auf diese Weise das Schwache neben dem Starken verschwinde oder die Luft innen allzu sehr leuchte und dadurch die Farben an der Wand verdünne.
Diese Camera Obscura diente vor allem im 18. Jahrhundert vielen Künstlern als Zeichen­hilfe. Vor allem Jan Vermeer wird deren Ver­wendung zugesagt. Der Künstler David Hockney möchte das Prinzip sogar bei zahlreichen früheren Künstlern nach­ge­wiesen haben. Sicher ist, es bestand der Wunsch, das Bild der Camera Obscura festzuhalten. Dazu musste sich nicht nur die Optik, sondern auch die Chemie weiterentwickeln.
Dass Silbernitrat durch Licht verändert wird, wurde bereits 1614 von Angelo Sala erwähnt. Thomas Wedgewood erhielt mit der Camera Obscura jedoch keine Ergebnisse, weil die Licht­aus­beute viel zu gering war, um das Silber­nitrat ausreichend zu verändern. Er machte jedoch deutlich, dass das Bild bei weiterer Licht­aussetzung vollständig schwarz wird. Dies wurde schließlich von Niépce, Fox Talbot und Daguerre gelöst und die Fotografie, wie wir sie heute kennen, erfunden. Deren optische Grundprinzip ist das der Camera Obscura, das bereits seit der Antike bekannt war.

Montag, Mai 16, 2011

Albrecht Dürers Bildverfahren

Seit Euklid gilt die Erkenntnis, dass sich Lichtstrahlen linear ausbreiten. Mit den Entdeckungen Brunelleschis und Albertis Traktat Della Pitura ist die Licht- und Sehtheorie auf eine Bildtheorie übertragen worden: Ein Bild ist der Schnitt durch die Sehpyramide.
Die bei Alberti nur theoretisch beschriebene Anwendung zur Bildproduktion diskutiert Albrecht Dürer schließlich in seinem Lehrbuch Unterweisung der Messung (1525). Darin finden sich zwei Illustrationen: Die eine stellt das vereinfachte Portraitieren mithilfe einer Glasplatte dar. Die andere wird meist als Vermessung der Laute bezeichnet.
Albrecht Dürer: Der Zeichner der Laute, 1525
Diese bekannte Darstellung zeigt ein vergleichsweise kompliziertes Verfahren, eine perspektivische Projektion eines dreidimensionalen Objekts zu erzeugen. Dazu wird eine Schnur an einer Öse befestigt (rot) und mit einem Gewicht beschwert, um sie gestreckt zu halten. Sie repräsentiert den Licht- oder Sehstrahl (orange). Das andere Ende wird auf einen Punkt am Objekt gehalten. Mithilfe zweier Fäden, die horizontal und vertikal an einem Rahmen gespannt sind, wird der Punkt markiert, an dem die Schnur durch den Rahmen stößt. Nun wird eine Fläche vor den Rahmen geklappt (blau) und der Kreuzungspunkt der Fäden darauf markiert. Dann wird die Fläche wieder aufgeklappt und ein weiterer Punkt markiert etc. Auf diese Weise erhält man eine Punktstruktur, die man mit Linien verbinden und z. B. als Unterzeichnung eines Gemäldes verwenden kann.
Bemerkenswert ist, dass es sich hierbei im Prinzip um dasselbe Verfahren handelt wie beim heutigen Computer-Generated Imagery (CGI) eingesetzten Raytracing. Hierbei wird in Abhängigkeit eines festgelegten Augenpunktes die Farbe für jeden Pixel der Bildebene (=Bildschirm) berechnet. Es handelt sich um ein auf der Aussendung von Strahlen basierender Algorithmus zur Verdeckungsberechnung. Ein Objekt, dass sich aus der Betrachterperspektive aus hinter einem anderen Objekt befindet, erscheint auf diesem Schnitt der Sehpyramide nicht. Dies wird nirgends deutlicher als bei Dürer. Und genau dies hatte bereits auch Euklid beschrieben.
Die heutige Computergraphik, wie sie beispielsweise in jedem Egoshooter zu finden ist, basiert auf den Entwicklung der Zentralperspektive der Renaissance.